Der Begriff der Països Catalans, der Gesamtheit der katalanischsprachigen Gebiete, ist umstritten, auch im katalanischen Sprachgebiet selbst. Die einen sehen darin nur den Anspruch der Suprematie des Principat, die anderen die Gemeinsamkeiten aller Teile des Sprachgebiets. Vielfach wird er polemisch in der einen oder anderen Richtung verwendet.
Genügt die gemeinsame autochthone Sprache, um eine gemeinsame Kultur zu begründen? Oder um gemeinsame politische Ziele zu verfolgen? Sind die Unterschiede in Status, Prestige und Praxis der Sprache nicht viel zu groß, um einheitliche Vorstellungen erarbeiten zu können? Sind die internen Widersprüche – mindestens zwischen manchen Gebieten – nicht so erheblich, dass die Gemeinsamkeiten darüber zu verschwinden drohen? Stehen – trotz der Europäischen Union – nicht zu viele Grenzen, politische wie mentale, auch nur der Konzipierung einer gemeinsamen Vorstellung von Kultur im Wege? Sogar die spanische Verfassung von 1978 verbietet eine institutionelle Umsetzung des Konzepts.
Auf der anderen Seite: was wäre die katalanische Kultur ohne die Beiträge aus allen Teilen des Sprachgebiets, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart? Ob man in die Literatur schaut, in die Musik, in das engagierte Chanson, in die Medien Film, Fernsehen, Presse, die schöpferischen Kräfte in der Kultur stammen aus allen Gebieten, in denen Katalanisch gesprochen wird. Wer weiß im Einzelnen, woher die heute wichtigen Repräsentanten der Kultur stammen, die sich gewöhnlich viel besser und problemloser untereinander verstehen als die Politiker?
Diese Duplizität der Betrachtung macht es dem Fremden noch schwerer, die katalanische Kultur zu verstehen. Bezieht das Adjektiv katalanisch sich auf die autonome Region, den Principat oder ist damit die Gesamtheit der katalanischsprachigen Kultur gemeint, die sich unter ganz unterschiedlichen Bedingungen entwickelt? Was ist katalanisch?
Vielleicht kann Wien der Ort sein, an dem sich das Problem der Einheit und der Vielfalt mit größerer Gelassenheit diskutieren lässt. Auch im deutschen Sprachraum gibt es eine Dialektik zwischen sprachlicher Einheit und politischer Vielfalt, die nicht immer unproblematisch ist. Auch hier kreuzen sich unterschiedliche Konzeptionen. Vielleicht gilt es, die Möglichkeiten zu erkennen, die eine solche Situation bietet, vielleicht gilt es auch, sorgfältiger auf spezifische Interessen zu achten.
Alle am Katalanischen Interessierten sind herzlich eingeladen, sich an dieser wissenschaftlichen Diskussion zu beteiligen und am 22. Katalanistentag in Wien teilzunehmen. Wir erbitten Vorschläge für Referate, die einen Beitrag zu diesen Fragen leisten können, bis zum 1. Dezember 2009. Es sind ausdrücklich Beiträge aus und zu allen sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Bereichen erwünscht. Die Organisation muss sich die Annahme der Vorschläge vorbehalten. Sie wird eine Reihe von Spezialisten aus den verschiedenen Gebieten des katalanischen Sprachraums zu Referaten zu gewinnen suchen.
Kongresssprachen: Katalanisch, Deutsch, hilfsweise andere romanische Sprachen
Themenvorschläge mit Abstract von max. 1000 Zeichen bitte an folgende Adresse: georg.kremnitz@univie.ac.at